Ganz unten – in China

Im März 2003 hat der Fall eines jungen Nichtsesshaften aus Hubei namens Sun Zhigang in China Aufsehen erregt. Sun Zhigang hatte keine gültigen Dokumente bei sich und starb durch Misshandlungen in einer Auffangstelle.

Auch als Reaktion auf seinen Tod wurden im selben Jahr die Befugnisse der seit 1982 bestehenden Zentren für die Festsetzung bestimmter Personen und deren Rückführung in ihre Heimatorte eingeschränkt.

Die Zuständigkeiten dieser seitdem als „Hilfsstationen“ bezeichneten Einrichtungen für Obdachlose und Bettler wurden in einer im August 2003 in Kraft getretenen Verordnung festgeschrieben. Aufgabe dieser kommunalen Hilfsstationen sollte nun sein, Obdach- und Mittellosen und Bettlern Essen und ein Dach über dem Kopf zu gewähren.

Doch ein Artikel der Fazhi Ribao (Legal Daily) vom 09.01.2013 berichtete, dass allein Ende 2012 und in den ersten Tagen dieses Jahres zwei Obdachlose in Changsha erfroren seien. Diese Vorfälle und das Ergebnis einer Befragung von 20 Obdachlosen, wonach sie sich lieber im Freien, auf Baustellen, Bahnhöfen und Brücken aufhielten, als die Hilfsstationen aufzusuchen, hat die Journalisten der Pekinger Volkszeitung hellhörig gemacht.

Wie sind die Zustände in den Hilfsstationen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, schlüpfte Dai Peng von der Volkszeitung in die Rolle eines taubstummen Obdachlosen.

Nachdem ihn Polizisten in die Hilfsstation des Stadtviertels Yaoling in Changsha gebracht hatten, begannen die dortigen Mitarbeiter ihn in harschem Ton zu befragen und wurden, als er als Taubstummer nicht antwortete, bald handgreiflich. Dem Journalisten wurden die Hände gefesselt, die Füße fest zusammengehalten. Mehrere Mitarbeiter stießen ihn zu Boden und knieten sich auf seinen Kopf, so dass er fast das Bewusstsein verlor.

Erst nachdem es ihm gelungen war, dass sein Vater mit den Leuten Kontakt aufnahm und er unterschrieben hatte, dass er freiwillig auf jede Hilfe verzichte, kam er aus der Hilfsstation frei.
Seinem Kollegen, einem ebenfalls als Obdachloser verkleideten Journalisten seines Blattes, der kurz nach ihm die Hilfsstation aufsuchte, bot sich kein schönes Bild – ein alter Obdachloser lag rücklings gefesselt auf einer Trage und flehte ihn an, ihn zu befreien. Er bestätigte, dass man ihn geschlagen habe. Als sich der Journalist als solcher zu erkennen gab, wollte der Alte nichts mehr von ihm wissen und suchte das Weite. Wahrscheinlich hatte er vor dem Mitarbeiter einer Parteizeitung ebensolche Angst wie vor der Besatzung der Hilfsstation.

Es scheint sich nur der Name für diese Institution geändert zu haben. Ihr Selbstverständnis ist immer noch, dass sie die Städte von bestimmten Personengruppen frei zu halten haben, von einem Dienstleistungsbewusstsein für Menschen in Notlagen kann noch keine Rede sein.

In der dem 2003 getöteten Sun Zhigang gewidmeten Grabinschrift heisst es zuletzt: „Mögen die Beamten wie die Vagabunden überall unter dem Himmel sich dies als Warnung dienen lassen. Man möge immer daran denken, wie schwer ein Leben wiegt, wie bedeutend die Menschenrechte sind, und wie wichtig Demokratie und Herrschaft des Rechts, damit das rechtschaffene einfache Volk keinen sinnlosen Tod stirbt.“